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Andere Länder, andere Weihnachtsbräuche: 7 Einblicke, von denen wir lernen können

Heiligabend steht vor der Tür. Die große Mehrheit in Deutschland feiert das Weihnachtsfest, manche aus Glauben, viele aus Gewohnheit, eher traditionell im Kreis ihrer Liebsten, mit einem geschmückten Tannenbaum, gutem Essen und Geschenken. Doch wie feiern andere Länder? Welche Weihnachtstraditionen und Bräuche gibt es dort, die unser Fest bereichern könnten?

Polen: Ein Teller für den unerwarteten Gast

von Désiree Schneider

»Wenn an Heiligabend der erste Abendstern am Himmel leuchtet, tischt meine Familie das Essen auf. Es besteht aus insgesamt 12 Speisen, eine für jeden Apostel«, schreibt mir meine Freundin Yasmina. Sie ist in Polen aufgewachsen, lebt in England, verbringt aber fast jedes Jahr das Weihnachtsfest zu Hause in Warschau. »Wir feiern noch traditionell, genau wie unsere Nachbarn – und ich liebe es.« Auf dem Tisch stehen jedes Jahr unter anderem Rote-Bete-Suppe, Karpfen und Pierogi (gefüllte Teigtaschen) mit Pilzen, doch kein Fleisch. Ganz nach polnischer Tradition. Unter der Tischdecke versteckt ihre Mutter etwas Heu, um der Geburt Christi in einem Stall zu gedenken. Und es gibt einen gedeckten Platz, der leer bleibt.

»Der ist für einen unerwarteten Gast«, erklärt mir Yasmina. »Jemanden, der nirgendwo zum Mitfeiern hat, oder für den Spontanbesuch eines Bekannten.« Zurückzuführen sei der Brauch auf Maria und Josef, die in der Weihnachtsgeschichte nach einem Unterschlupf für die Geburt suchen und nirgendwo aufgenommen werden, bis sie im Stall von Bethlehem ankommen. In Yasminas Familie ist der zusätzliche Teller nicht nur Dekoration: Ihre Mutter lädt gerne ältere Nachbar:innen und auch fremde Menschen zum Essen ein, die sie kurz vorher beim Einkaufen kennengelernt hat. »Meine Mutter kocht so oder so immer zu viel«, scherzt Yasmina. Durch diesen Brauch würde das Weihnachtsfest nie langweilig und es gebe immer neue Geschichten am Abendtisch.

Diese schöne Tradition könnte auch unser Weihnachtsfest in Deutschland sicher bereichern.

Malawi: Hier wird Weihnachten in der Disco gefeiert

von Deogracious Benjamin Kalima

Vielen Eltern in Malawi, einem kleinen Binnenstaat in Südostafrika, ist es vor Weihnachten sehr wichtig, ihren Kindern neue Kleidung zu besorgen. Am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages tragen die Kinder diese dann zum ersten Mal zur Weihnachtsmesse in der Kirche. Auf dem Nachhauseweg essen sie alle möglichen Speisen, welche die Eltern für sie zubereitet haben. Die beliebteste dieser Speisen ist Reis mit einem Fleischeintopf, der aus Hühnchen, Ziege, Rind, Schwein oder Schaf zubereitet sein kann.

Für die Erwachsenen gibt es ein lokal gebrautes Soft-Bier, das wir »Thobwa« nennen – ein absolutes Muss an diesem Tag! Die Kinder kaufen sich hingegen industrielle Limonaden von den Straßenläden, mit denen sie den Tag über vor allem vor den anderen angeben. Getrunken wird die Limonade aber erst am Abend, wenn sie längst warm geworden ist.

Am Nachmittag gehen wir dann alle auf den Marktplatz – dort findet eine offene Disco statt und alle tanzen bis spät in die Nacht. Um an diesem Tag gemeinsam Spaß zu haben, reisen viele Leute bis zu 10 Kilometer an – das ist eine weite Strecke in Malawi. Ein weiterer lustiger Brauch in der Weihnachtsdisco: Wer Lust hat, kann für einen Song bezahlen und, während dieser läuft, ausschließlich mit 1–2 ausgewählten Leuten tanzen. Alle anderen müssen währenddessen warten und dürfen zuschauen. Außerdem ist Weihnachten bei uns auch ein Fest für die Motorrad-Taxifahrer: Sie machen schnelles Geld, weil die Leute von einem Fest zum nächsten brausen!

Katalonien: Ein Baumstamm, der Geschenke kackt

von Lara Malberger

Zugegeben: Den Tió de Nadal, einen Geschenke-kackenden Holzstamm, habe ich leider noch nie persönlich kennengelernt. Für katalonische Kinder ist er aber, das haben befreundete Katalonier der Redaktion bestätigt, nach wie vor ein häufiger Bestandteil des Weihnachtsfests. Die Tradition hat einen heidnischen Ursprung und erleichtert den Kindern das Warten auf die Bescherung. Die Geschenke werden in Spanien nämlich erst am 6. Januar von den Heiligen 3 Königen gebracht. Der Brauch um Tió de Nadal funktioniert folgendermaßen: Einige Wochen vor Weihnachten zieht ein mit Augen bemalter Baumstamm bei der Familie ein. Vom 8. Dezember (Mariä Empfängnis) bis zum Weihnachtsfest kümmern sich die Kinder um den Stamm: Jeden Tag wird er mit Äpfeln und Brot gefüttert und mit einer Decke zugedeckt, damit er sich nicht verkühlt.

Die freundliche Umsorgung des Gasts geht bis zum Weihnachtsabend: Dann wird der Stamm mit einem Stock verhauen, damit er Geschenke »scheißt« (oder katalanisch: »cagar«). Gesungen wird dabei auch! Unter der Decke des Stamms haben die Eltern dann meist kleine Geschenke wie Schokolade, Nüsse oder andere Süßigkeiten versteckt.

Den Baumstamm zu »verprügeln«, scheint mir dabei nicht nur für Kinder eine gute Idee. Vielleicht könnte es beim einen oder anderen Familienfest dabei helfen, bestehende Spannungen abzubauen und einem Streit am Tisch vorzubeugen. Nachdem jeglicher Frust am Baumstamm abgelassen wurde, können die ausgekackten Süßigkeiten in aller Ruhe gemeinsam verspeist werden.

Tschechien: Bleigießen reloaded und andere Wege, einen Blick in die Zukunft zu werfen

von Katharina Wiegmann

Tschechien gilt als eines der gottlosesten Länder Europas. Religion spielt in unserem Nachbarland keine große Rolle: Bei einer repräsentativen Umfrage des amerikanischen Pew-Forschungszentrums von 2018 gaben nur 7% der Befragten an, Religion wäre ein wichtiger Teil ihres Lebens. 13% bezeichneten sich als gläubig.

Umso überraschender (oder vielleicht auch nicht?) ist es, wie viele abergläubische Weihnachtstraditionen es in Tschechien gibt. Nicht alle davon sind nachahmenswert. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil dreht sich darum, herauszufinden, wann junge Frauen endlich einen Mann finden, der sie heiratet. So sollen sich unverheiratete Mädchen an Weihnachten mit dem Rücken zur Haustür aufstellen und einen Schuh über die Schulter in Richtung der Tür werfen. Zeigt die Spitze hinaus, wird sie das Haus im kommenden Jahr verlassen, so der Aberglaube.

Aber kommen wir zu den Traditionen, die auch etwas für deutsche Weihnachtstage wären. Es gibt 2 Bräuche, die als nachhaltiger Ersatz für das seit 2 Jahren europaweit verbotene Bleigießen dienen könnten:

  • Aus leeren Walnussschalen werden kleine Boote gebaut, in denen jedes Familienmitglied eine kleine Kerze platziert. Anschließend werden die Schalen in eine Schüssel mit Wasser gegeben. Schwimmt die Schale mit der Kerze, ist das ein gutes Omen für Gesundheit und Glück im kommenden Jahr; sinkt das Walnussboot, ist Unglück zu erwarten.
  • Für noch präzisere Auskünfte werden nach dem Weihnachtsessen Äpfel quer in zwei Hälften geschnitten. Sind die Kerne sternartig angeordnet, wird es ein gutes Jahr; erinnern sie eher an ein Kreuz: Oh, oh!
  • Tricks, um dem Glück etwas auf die Sprünge zu helfen, hat das tschechische Weihnachtsbrauchtum aber auch zu bieten: Legt man eine Schuppe des traditionellen Weihnachtskarpfens beim Essen unter den Teller oder die Tischdecke, soll das Reichtum bringen. Behält man die Schuppe das Jahr über im Geldbeutel, wird einem das Geld darin nicht ausgehen. Und schließlich empfehlen sich Linsen auf dem Menüplan für Neujahr – auch diese versprechen Geldsegen. Was gar nicht geht: Geflügel. Denn damit fliegt auch das Glück im neuen Jahr davon.

Estland: Ein Saunagang entspannt die Gemüter

von Désiree Schneider

Die Weihnachtszeit ist kalt, dunkel und hektisch. Das Weihnachtsfest ist dabei oft keine Ausnahme. Wie wäre es also mit einer wohltuend warmen, entspannten Auszeit? Ein Saunagang zwischen den stressigen Vorbereitungen für das Weihnachtsessen und vor dem Festschmaus, sodass man ihn so richtig genießen kann. Genau das machen viele Menschen in Estland jedes Jahr am 24. Dezember, wie mir eine Bekannte aus Estland bestätigt.

Dort gehört ein Saunanachmittag zum guten Ton (nicht nur an Weihnachten). Man geht zusammen mit Familie, Nachbar:innen oder Freund:innen, schwitzt und plaudert, um danach entspannt ins Wochenende oder in den Feiertagsabend zu starten. Die Saunatraditionen in Estland sollen bis ins 13. Jahrhundert zurückzuführen sein. Ein typisch estnischer Saunagang wird nackt durchgeführt, wie auch in Deutschland. Nach einem Aufguss kann man sich mit einem Saunaquirl (»Viht«), einem Bund aus blattbehangenen Zweigen, locker auf den Körper klopfen. Das soll die Muskeln massieren, kann aber auch schnell wehtun.

Laut einem estnischen Volksglauben darf man in der Sauna übrigens nicht streiten, denn das irritiert die guten Geister. Gut so, ein harmonisches Miteinander schafft nämlich auch eine gute Grundstimmung für das darauffolgende Weihnachtsfest.

Dänemark: Wo die wilden Weihnachtswichtel wohnen

von Dirk Walbrühl

Sicherlich hast du auch schon ein paar dieser kleinen Figuren entdeckt: Zipfelmützen, lange Bärte und Nasen so groß, dass sie die Augen verdecken. So sehen die Weihnachtswichtel aus, die man oft schon ab November in Läden und auf Weihnachtsmärkten hierzulande kaufen kann und die in der kalten Jahreszeit viele Fenster zieren.

Die Figuren sind an eine dänische Familientradition angelehnt. Dort heißen sie »Julenisse« und reiten oft auf einem »Julbock«, einer Ziegenbockfigur aus Stroh, die auch gerne als Weihnachtsschmuck verwendet wird. Vorbild für diese Figuren sind Koboldgestalten aus skandinavischen Sagen, erstmals erwähnt in der altisländischen Sagensammlung Edda im 13. Jahrhundert. Darin waren mit Wichteln freundliche Erdgeister gemeint, die den Menschen zur Hand gehen.

Zum dänischen Brauch in Familien mit Kindern gehört es, das eigene Wohnzimmer mit einem oder mehreren solcher Wichtelfiguren zu dekorieren – und der »Wichteltür«. Diese Miniaturholztür wird in Bodenhöhe über eine Holzleiste an die Wand geklebt. Die Kinder legen abends kleine Gegenstände vor die Tür, die in ihrer Vorstellung die Wichtel gut brauchen können. Nachts, wenn die Kinder schlafen, kommen die »echten« Wichtel dann aus ihrer Behausung und tauschen die Gaben gegen Süßigkeiten oder kleine Schmuckstücke aus. Natürlich sind es die Eltern, die den Tausch erledigen, um die Illusion aufrechtzuerhalten.

Damit reihen sich die Wichtel in Dänemark ein in die Reihe von erfundenen Gestalten um Weihnachtsmänner, fliegende Rentiere und das Christkind und helfen den Kindern im Rollenspiel mit dem Türtausch dabei, ihre Fantasie zu benutzen – eine Fähigkeit, die heutzutage in multimedialen Zeiten voller Desinformation immer zentraler wird. Mein Sohn findet die neue Wichteltür in unserem Treppenhaus jedenfalls fantastisch.

Mongolei: Sich auf das Wesentliche besinnen

von Chris Vielhaus

Im ersten Moment dachte ich, ich könnte nichts zu diesem Text hier beitragen. Die wenigen Freund:innen und Bekannten, die ich im Ausland habe, feiern Weihnachten eigentlich genauso wie wir hier in Deutschland. Ein wenig verzweifelt fragte ich schließlich einen in der Mongolei geborenen, guten Freund, ob Weihnachten dort irgendeine Rolle spielt – und siehe da, ich bekam eine spannende Antwort: »Weihnachten spielt bei uns eigentlich keine Rolle. Viel wichtiger ist bei uns das Neujahrsfest, das wir im Februar feiern. Es ist eine Mischung aus buddhistischer Kultur und nomadischen Traditionen.«

Zum »Tsagaan Sar«, was so viel bedeutet wie »Weißer Mond«, feiern die Mongol:innen das Ende des langen und harten Winters, der Mensch und das wertvolle Vieh bedroht. Minus 30–35 Grad Celsius sind in den Wintermonaten nichts Ungewöhnliches. Das (Über-)Leben steht beim Neujahrsfest im Mittelpunkt – und daher auch die Freude über das Zusammensein mit den Lieben, das mit leckersten Köstlichkeiten gefeiert wird.

Die Idee, dass auch wir uns zu Weihnachten genau auf diese einfachen Gedanken besinnen können, verwandelt mich vom Grinch zurück zum Weihnachtsfan. Also: Weg mit dem Schenkzwang! Denn obwohl die Devise »Wir schenken uns dieses Jahr nichts« auf dem Vormarsch zu sein scheint, geben wir hierzulande inzwischen im Schnitt pro Kopf unglaubliche 522 Euro pro Jahr für Weihnachtsgeschenke aus.

Wenn man gleichzeitig weiß, wie viele Menschen in Deutschland und auf der ganzen Welt von Armut betroffen sind, ist das wirklich eine geradezu absurd hohe Zahl. Mit diesen Unsummen könnten wir stattdessen Jahr für Jahr viel Gutes anstellen: Etwa Millionen von armen Kindern in Deutschland einen Urlaub ermöglichen oder Menschen überall auf der Welt den Zugang zu modernen Kochstellen und Toiletten ermöglichen.

Meiner Meinung nach, schöne Geschichten zum Vorlesen und  Nachsinnen, natürlich nicht nur für Lipperreihe. Ein frohes Fest 2021 und einen guten und gesunden Start in das neue Jahr 2022

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